Heimkino-Tipp: „Mom and Dad“ (2017)

Meet the Parents
Wer sich auf einen Film von Brian Taylor einlässt, sollte auf Vieles gefasst sein. Grenzüberschreitungen zum Beispiel. Nicht politischer Natur, sondern in Bezug auf guten Geschmack, Humor und zurückhaltendes Schauspiel. All diese Dinge gibt es in seinen Werken häufig nicht. Genau das ist sein Markenzeichen – und kann mitunter richtig viel Freude bereiten.

Bekannt wurde der Regisseur und Autor mit seinem Debüt „Crank“ (2006), das er zusammen mit Buddy Mark Neveldine kreierte. Eine herrliche Achterbahnfahrt sondergleichen, die man/frau sich auf jeden Fall mal gönnen sollte. „Mom and Dad“ ist nun sein erster Solofilm als Regisseur und nach „Ghost Rider: Spirit of Vengeance“ (2011) sein zweiter mit Nicolas Cage in der Hauptrolle. Der gab zu Protokoll, „Mom and Dad“ sei sein liebster Streifen der letzten zehn Jahre. Das will was heißen, dreht Cage doch ohne Unterlass und hat einen Output, der selbst Vielfilmer Steven Seagal in den Schatten stellt.

Warum Cage sich zu dieser Lobhudelei hinreißen ließ, wird schnell deutlich: Taylor lässt seinen Star komplett von der Leine, der Oscar-Preisträger bedankt sich mit einem weiteren ‚HurriCage‘ und gibt als Papa Brent dem Affen ordentlich Zucker. Seine Opfer: zunächst Gattin Kendall (Selma Blair), wenig später ihre gemeinsamen Kinder (Anne Winters, Zackary Arthur). Der Auslöser: Offenbar eine über TV-Bildschirme getriggerte Wutempfindung, die Eltern dazu bringen soll, ihre eigenen Kinder zu töten. Klingt geschmacklos? Ist es auch. Aber wer sein schlechtes Gewissen für 85 Minuten beiseite schieben kann, wird „Mom and Dad“ sehr unterhaltsam finden.

Der Film verrät nichts über Herkunft und Hintergrund dieses befremdlichen Verhaltens. Es ist einfach da. Taylor nutzt das zunächst für ein paar äußerst fiese – zum Glück nur angedeutete, aber nicht zu sehende – Aktionen von Eltern, die ihrem Nachwuchs den Garaus machen. Kichern mit etlichen WTF?!-Momenten sozusagen, die schon mal andeuten, was den Kids von Brent noch bevorsteht. Kaum sind die Zuhause eingeschlossen, setzen ihre Erziehungsberechtigten alles daran, um die kleinen Scheißer aus ihrem Versteck rauszulocken und ihrem Schicksal zuzuführen. Das gestaltet sich jedoch schwieriger als erwartet.

Mit Taylor-typischem Tempo inszeniert, wirkt „Mom and Dad“ mitunter wie ein etwas zu lang geratener Videoclip. Das stört angesichts der hauchdünnen Story nicht weiter, zumal Cage und Blair keine Hemmungen haben, ihre Aggressionen an diversen Möbelstücken auszulassen. Es muss für beide Schauspieler äußerst befriedigend gewesen sein, ihren Stress auf diese Weise abbauen zu können. Oder anders formuliert: Es ist ihnen anzusehen, dass sie großen Spaß an diesem Blödsinn hatten.

Wer „Mom and Dad“ einen gesellschaftlichen Kommentar andichten will, findet in ein, zwei Szenen tatsächlich Belege dafür, dass Drehbuchautor Taylor mit seinem Film dem Heile-Welt-Familienleben den Stinkefinger zeigen will. Tiefgründig ist dies zwar nicht, aber bitteschön. Ansonsten stört an diesem No-Brainer eigentlich nur das wiederholte Auferstehen einer Figur, die im Verlauf der Handlung gleich mehrmals in den Tod geschickt wird, aber irgendwie immer wieder zur Rettung seiner Freunde erscheint. Aber wer bin ich schon, um in einem solchen Film Realitätsnähe anzumahnen?

Kurz, sehr böse und amüsant: „Mom and Dad“ ist genau das Richtige für übermüdete Eltern, die nach einem anstrengenden Tag mit den Kleinen Lust auf einen garstigen Film haben.

P.S.: Als Extra gibt es auf der DVD/Blu-ray einen Mitschnitt der Filmpremiere, bei der Taylor & Co. dem Publikum Fragen beantworten. Keine Ahnung, was Cage an jenem Abend intus hatte – aber sein Auftritt dort steht seiner Filmfigur in nichts nach.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und original englischer Sprachfassung. Untertitel in deutsch sind optional zuschaltbar. Als Bonus gibt es besagten Premierenclip, eine Bildergalerie sowie Trailer. „Mom and Dad“ erscheint bei NewKSM Cinema und ist seit 20. September 2018 erhältlich. (Packshot + stills: NewKSM Cinema)

... im Nachgang: „Mission: Impossible - Fallout“ (Kinostart: 2. August 2018)

Top Fun
September 1997: Mein 17-Jähriges Ich rennt nach Schulschluss mal wieder ins Kino. Nachmittagsvorstellung von »Im Körper des Feindes (Face/Off)«, dem neuen Film von John Woo mit John Travolta und Nicolas Cage in den Hauptrollen. Eine der damals veröffentlichten Rezensionen fasste den Actionfilm folgendermaßen zusammen: „Travolta und Cage gehen Mano-a-Mano – und die Zuschauer drückt’s in die Sitze.“ Und genau das war es auch – ein zweieinhalbstündiges Dauerfeuer an Stunts und Twists, das beim Publikum Schnappatmung verursachte. Nur ein Jahr zuvor hatte Tom Cruise alias Ethan Hunt seine erste unmögliche Mission überstanden. Dass die fünfte(!) Fortsetzung nun, 22 Jahre später, einen ähnlichen Meilenstein des Actionkinos wie einst »Face/Off« präsentieren würde, hätte damals wohl keiner erwartet.

Nein, „Meilenstein“ ist keine leichtfertig gewählte Formulierung. Denn was Cruise, Regisseur Christopher McQuarrie und ihr Team hier auf Zelluloid gebannt haben, hat es in dieser Intensität und Waghalsigkeit noch nicht gegeben. Man kann es nicht oft genug wiederholen: die Stunts sind echt. Kein digitales Aufpolieren. Keine Green-Screen-Wand in einem Produktionsstudio, vor dem eine Hubschrauber-Attrappe hin- und hergeschüttelt wurde. Kein Cruise-Ersatzmann, der an dessen Stelle dem Verkehr am Pariser Arc de Triomphe entgegenfuhr. Wer es nicht glauben will, findet im Internet problemlos genug Aufnahmen der Dreharbeiten, die das bestätigen.

»Mission: Impossible – Fallout« ist nicht deswegen meisterhaft. Denn McQuarrie, der überdies das Drehbuch verfasste, konstruiert Drumherum eine zwar typische, aber keinesfalls substanzlose Agentenstory. Waren etliche Stunts im Vorgängerfilm »Rogue Nation«, den er ebenso inszenierte, noch reiner Selbstzweck und für den Verlauf völlig unerheblich – erinnert sei an die völlig verrückte Eröffnungssequenz mit Cruise an einem Flugzeug hängend –, so sind sie hier fest in die Geschichte eingebunden. Ob Superagent Hunt sie lebend übersteht, ist zudem keinesfalls sicher. »Fallout« begeistert mit einer neuen Härte, die es so in den anderen Teilen noch nicht gab.

Offenbar nicht zufällig: McQuarrie verriet unlängst in einem Interview, dass ein weitaus düstrer Subplot geplant war, von dem im Endschnitt nur noch wenige Szenen zu sehen sind. Was hingegen geblieben ist, sind sehr viel mehr Szenen mit Hunts Teamkollegen, die – auch das eine erfreuliche Weiterentwicklung zum Vorgänger – in die Mission involviert sind und die Handlung beeinflussen. Denn selbst wenn er in den vergangenen Jahren ein wenig Gewicht zugelegt hat: Ving Rhames ist ein toller Schauspieler, der seinen Charakteren auch emotional Gewicht verleihen kann, so man ihn denn lässt.

147 Minuten Vollgas – Hunts britischer Agentenkollege Bond war in seinen letzten beiden Einsätzen »Skyfall« und »Spectre« ähnlich lang unterwegs, um die Welt und seine Lieben zu retten. Qualitativ allerdings weniger überzeugend. Für Bettgeschichten, einen geschüttelten Martini und perfekt sitzende Anzüge mag er immer noch die Nummer eins sein. Hauptberuflich allerdings hat ihm Ethan Hunt spätestens mit »Fallout« endgültig den Rang abgelaufen.

(Plakat: © 2018 Paramount Pictures Germany GmbH)

Heimkino-Tipp: „Kings“ (2017)

Bond in the Hood
Die 1978 in Ankara geborene und in Frankreich aufgewachsene Deniz Gamze Ergüven hätte ihre Karriere als Filmemacherin eindrucksvoller nicht starten können: Ihr 2016 erschienenes Drama „Mustang“ erzählt von fünf jungen Schwestern, die in einer Kleinstadt 600 Kilometer nördlich von Istanbul aufwachsen und nach einem spontanen Bad im Meer, bei dem auch männliche Schulkameraden anwesend sind, von ihrer strengen Familie bitterlich bestraft werden. Ein leiser Film, unter dessen optisch schöner Oberfläche es pausenlos brodelt, bis es zur Katastrophe kommt. 2016 für den „Auslands-Oscar“ nominiert, waren die Erwartungen an Ergüvens Nachfolgewerk – zumindest bei mir – sehr groß. Vorhang auf für „Kings“!

Interessanterweise vor „Mustang“ geplant, musste die Regisseurin/Autorin das Werk zunächst verschieben, da sich keine Finanziers fanden. Wenig verwunderlich, behandelt „Kings“ doch einen wunden Punkt in Amerikas neuerer Geschichte: die Unruhen in Los Angeles 1992. Ausgelöst durch den skandalösen Freispruch von vier Polizisten, die bei einer Fahrzeugkontrolle den Afroamerikaner Rodney King misshandelten und mit endlosen Schlägen traktierten, entlud sich der Frust der vor allem schwarzen Bevölkerung über mehrere Tage und forderte neben etlichen Verletzten auch mehrere Todesopfer. „Kings“ setzt wenige Tage zuvor ein und beschreibt die Ereignisse aus der Sicht der alleinerziehenden Millie (Halle Berry), die in ihrem Haus Pflegekinder aufgenommen hat und versucht, ihnen eine glückliche Kindheit zu ermöglichen. Angesichts der beständigen Gewaltausbrüche sowohl von Bürgern als auch Gesetzeshütern kein leichtes Unterfangen. Zumal ihr Nachbar, der trinkfreudige Autor Obie (Daniel Craig), mit seinen Wutausbrüchen die gereizte Stimmung weiter anheizt.

Anliegen Top, Umsetzung Flop: Selten habe ich persönlich einen inhaltlich derart zerfaserten Film gesehen. „Kings“ hat den Anspruch, die Geschehnisse aus verschiedenen Perspektiven darzustellen, vermag es jedoch nicht, daraus ein kohärentes Ganzes zu formen. Beständig wechselnd zwischen einzelnen Figuren und Stimmungen entsteht vielmehr der Eindruck, Ergüven hat hier mehrere Drehbücher zusammengeworfen und anschließend versucht, daraus etwas Sinnhaftes zu kreieren. Keine der auftretenden Personen besitzt charakterliche Tiefe, vielmehr stürmen sie durch Szenen, die wie einzelne Stationen in einem Hindernisparcours wirken, der ihnen vom Skript vor die Nase gesetzt wurde. Warum sie zu diesen und jenen Handlungen/Taten tendieren, wird nie erklärt.

Besonders an ‚Obie‘ wird dies offensichtlich: Als ungepflegter Misanthrop im Film eingeführt, nimmt er sich eines Tages ohne weitere Erklärung der verhassten Kinder seiner Nachbarin an, die daraufhin einen überaus verstörenden Sextraum von ihm hat und ihn fortan mit verliebten Augen anguckt. Ebenso rätselhaft bleibt der Fakt, dass Obie scheinbar der einzige Weiße in einem vornehmlich von Schwarzen bewohnten Viertel ist. Warum lebt er dort, wenn er seine Umgebung so hasst? Was veranlasst ihn dazu, diverse Geräte laut schimpfend von seinem Balkon zu werfen? Wenn Millie und Obie, also Ex-Bondgirl Berry und aktueller Bond-Mime Craig, an anderer Stelle dann auch noch zusammen an eine Straßenlaterne gekettet werden und dabei erzwungenermaßen Teile ihrer Bekleidung ablegen müssen, verspielt Ergüven den letzten Funken Glaubhaftigkeit – trotz immer wieder eingestreuter Dokumentarfilmaufnahmen der wahren Ereignisse.

Je länger der ohnehin kurze Streifen (92 Min.) voranschreitet, desto mehr erhärtet sich der Verdacht, dass das Endprodukt nur ein Bruchteil des eigentlich geplanten Films ist. „Kings“ wirkt episodenhaft, abgehackt, unvollständig. Kurzum: meilenweit vom großartigen „Mustang“ entfernt, der so meisterhaft Nuancen herausgearbeitet hat.

Eine große Enttäuschung, die den Beinahe-Bürgerkrieg des L.A. von 1992 lediglich als Hintergrund für eine unausgegorene Geschichte nutzt, die ziel- und orientierungslos umherirrt. Vielleicht war dies der Grund, warum zunächst niemand „Kings“ finanzieren wollte. Zum Glück war es nicht Deniz Gamze Ergüvens Debüt, denn dann hätte es „Mustang“ wahrscheinlich nie gegeben.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film u.a. in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie diverse Untertitel. Extras sind keine vorhanden. „Kings“ erscheint bei Universal Pictures Germany GmbH und ist seit 30. August 2018 erhältlich. (Packshot + stills: © Universal Pictures)