Heimkino-Tipp: „Nightcrawler“ (2014)

American Psycho

Wenn es eine Ranking-Liste für die gruseligsten Film-Charaktere des Jahres gäbe, Jake Gyllenhaals Lou Bloom im Thriller „Nightcrawler“ wäre darin definitiv in den Top 3 zu finden: Intelligent, zielorientiert, egoistisch, skrupellos. Eine aufgemotzte Version des „Taxi Driver“s Travis Bickle, der vor knapp 40 Jahren in New York unterwegs war. Was beide neben ihrem ambivalenten Blick auf ihre Mitmenschen eint, ist das eigentlich Beängstigende: sie sind das personifizierte Endprodukt der kaputten Gesellschaft, in der sie (wir?) leben.

Als wir Bloom kennenlernen, hält er sich vornehmlich mit Diebstählen über Wasser. Ob Drahtzäune, Uhren oder Fahrräder, er klaut alles, was er irgendwie zu Geld machen kann. Gleichzeitig lässt er keine Gelegenheit aus, um sich bei potenziellen Arbeitgebern anzubiedern. Doch erst ein Autounfall, den er zufällig beobachtet, bringt ihn auf den Weg zur Karriere: Während Rettungskräfte eine verletzte Frau aus dem Wagen befreien, hält ein Kamerateam ohne Rücksicht auf die Helfer die Szenerie in blutigen Details fest und verkauft die Aufnahmen sogleich an eine lokale TV-Station. Bloom besorgt sich einen Camcorder sowie ein Funkgerät zum Abhören des Polizeikanals, und ist fortan selber nachts auf Tour, immer auf der Suche nach der nächsten passenden Szenerie. Moralische Bedenken sind ihm fremd, und so verändert er schon mal einen Tatort, den er vor dem Eintreffen der Beamten erreicht, zu seinen Gunsten. Die begeisterten Reaktionen auf seine Clips geben ihm Recht. Aber Bloom hat noch ganz andere Ziele.

Eingebettet in Nachtaufnahmen des glitzernden L.A.s, die an die Großtaten eines Michael Mann („Heat“, „Collateral“) erinnern, ist das Publikum wie alle anderen Figuren im Film von der ersten Minute an Lou Bloom ausgeliefert: Dieser Mann ist die Quintessenz all dessen, was Erfolg verspricht. Er kann sich super verkaufen, arbeitet effizient und kennt nur eine Richtung: weiter nach oben. Bloom weiß genau, welche Knöpfe er bei seinem Gegenüber drücken muss, um seine Wünsche zu verwirklichen. Ein verbales Genie, das trotz oder gerade wegen seines schmächtigen Aussehens, den heraustretenden Augen und einem Lächeln, das gleichsam offen wie einschüchternd wirkt, alles erreichen kann. Dass Gyllenhaal hierfür nicht einmal eine Oscar-Nominierung erhalten hat, ist mir völlig unverständlich.

Was Tony Gilroys Drehbuch – immerhin dies erhielt eine Nominierung – aber derart herausragend macht, ist die Beschreibung von Blooms Umwelt. Lous Erfolg ist nur möglich, da er willige Abnehmer für seine Aufnahmen findet, deren moralischer Kompass ebenso abhanden gekommen ist wie der der Zuschauer, die den News-Sendern von Nina (Rene Russo, Frau von Regisseur Gilroy und endlich wieder häufiger auf der Leinwand zu sehen) so hohe Einschaltquoten bescheren. Auf der anderen Seite ist „Nightcrawler“ eine überspitze Perversion der „Du kannst alles schaffen, wenn du es nur willst“-Doktrin, mit der heutzutage so gern um sich geworfen wird. Und seien wir ehrlich: Auch wir Filmgucker sind nicht traurig, wenn es explizite Details zu sehen gibt, schauen gespannt auf Blooms amoralische Taten und freuen uns über das actionlastige Finale, das dem Ganzen die vergoldete Krone aufsetzt.

So funktioniert „Nightcrawler“ als Gesellschaftssatire und packendes Thriller-Vehikel, paart der Film Anspruch mit Unterhaltung und beschert uns mit Lou Bloom eine der erinnerungswürdigsten Figuren der vergangenen Kinojahre. Ein cineastischer Volltreffer!

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie deutsche Untertitel für Hörgeschädigte. Als Extras befinden sich ein kurzes Making of sowie diverse Teaser und Trailer auf den Discs. „Nightcrawler“ erscheint bei Concorde Home Entertainment und ist seit 26. März 2015 erhältlich. (Packshot: © Concorde)

Heimkino-Tipp: „Am Sonntag bist du tot“ (2014)

John Michael McDonaghs („The Guard“) zweiter Film beginnt mit einem Paukenschlag: Während einer Beichte erfährt Dorfpriester James Lavelle (Brendan Gleeson), dass einer seiner Schützlinge als Kind jahrelang von einem Kirchenmann missbraucht wurde. Nun soll Lavelle stellvertretend dafür büßen – in sieben Tagen, draußen am Strand, wird er sterben. Obwohl Lavelle ahnt, wer ihn da bedroht hat, meidet er zunächst den Gang zur Polizei. Stattdessen widmet er sich wie üblich seinen „Schäfchen“, gleichwohl die ihn fast alle mit einer Mischung aus Ignoranz, Überheblichkeit und ja, auch Aggressivität gegenübertreten. Das übliche Tagesgeschäft in seiner Gemeinde also, das nur durch das überraschende Auftauchen seiner erwachsenen Tochter Fiona (Kelly Reilly) unterbrochen wird, die gerade einen Suizidversuch hinter sich gebracht hat. Doch egal, womit sich Vater Lavelle abzulenken versucht: der Sonntag rückt näher und damit die Notwendigkeit, zu handeln – oder sich seinem Richter zu stellen.

Vor dem Hintergrund der rauen irischen Küste entfaltet „Am Sonntag bist du tot“ eine von Metaphern und Symbolik sanft durchzogene Geschichte über Schuld und Vergebung, Liebe und Hass, Menschlichkeit und deren manchmal seltsamen Auswüchsen. Was leicht hätte überladen, schwermütig und deprimierend werden können, wirkt bei Regisseur/Autor McDonagh erfrischend humorvoll und von Melancholie durchzogen. Mittendrin ein großartiger Brendan Gleeson als Fels in der stürmischen Brandung (noch so ein Bild, das der Film immer wieder aufgreift), der mit Ruhe, Geduld und sanfter Stimme seine Gemeindemitglieder (und Kollegen) zu ein wenig mehr Genügsamkeit, Ehrlichkeit und Nächstenliebe auffordert. Ein leider hoffnungsloses Unterfangen.

Zwangsläufig drängt sich bei dieser Geschichte der Verdacht auf, hier einem ‚Werbefilmchen‘ der katholischen Kirche beizuwohnen, lässt sich Vater Lavelle, der für die Sünden eines anderen bestraft werden soll, in seiner Gutmütigkeit doch wunderbar als Jesus-Gleichnis auffassen. Doch weit gefehlt: die religiösen Anspielungen nutzt McDonagh vornehmlich für einen subtilen Rundumschlag zur Doppelmoral etlicher Kirchenvertreter. Gleichzeitig verdeutlichen die vielen „Schafe“ des Dorfes, wie wenig vom oft gepredigten Gutmenschentum und der Nächstenliebe im 21. Jahrhundert noch übrig ist. Der ursprüngliche Auslöser der Geschichte, die erschütternde Beichte des um seine Kindheit beraubten Mannes, wirft ebenfalls die Frage auf, inwieweit die Kirche generell bereit ist, die Verfehlungen seiner Vertreter zu bestrafen.

„Am Sonntag bist du tot“ ist ein mutiger, nachdenklich stimmender und gleichsam unterhaltsamer Streifen, der zusammen mit „The Guard“ Teil zwei der inoffiziellen „Suizide Trilogy“ von McDonagh und Gleeson bildet (keine Angst, diese Formulierung verrät kein Handlungsdetail). Hoffentlich lässt Teil drei nicht mehr lange auf sich warten.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie deutsche Untertitel. Als Extras befinden sich eine kurze Doku und Trailer (DVD + Blu-ray) sowie Interviews, ein Making of und Set-Aufnahmen (nur Blu-ray) auf den Discs. „Am Sonntag bist du tot “ erscheint bei Elite Film AG (Ascot Elite) und ist ab 24. März 2015 erhältlich. (Packshot: © Ascot Elite)

Heimkino-Tipp: „Pioneer“ (2013)

The Abyss

Ein guter Vorspann macht den halben Film. Oder anders formuliert: Schafft es ein Regisseur bereits mit der Titelsequenz, eine anregende Stimmung für das anschließend zu Sehende zu kreieren, hat er mich bereits zu 50% in der Tasche. Auch wenn der Vorspann von Mats Anderson zu „Pioneer“ vielleicht (noch) nicht so einprägsam sein mag wie die Arbeiten von Kyle Cooper („Sieben“) oder Saul Bass („Vertigo“): sein kleiner „Vorfilm“ schafft es wunderbar, eine bedrohliche und gleichsam von Aufbruch und Pioniergeist getragene Atmosphäre zu schaffen, die perfekt zu den folgenden 100 Minuten passt.

Die skandinavisch-deutsche Ko-Produktion von Regisseur Erik Skjoldbjærg („Todesschlaf – Insomnia“) erzählt von den ersten Männern, die Anfang der 1980er-Jahre vor Norwegen eine Öl-Pipeline auf dem Meeresgrund verlegen sollen. Bis dato war es quasi unmöglich, solcherlei Bauvorhaben zu realisieren, da es an geeigneten Gasgemischen mangelte, mit denen Menschen in 500 Metern Tiefe atmen und arbeiten könnten. Petter (Aksel Hennie) und sein Bruder Knut (André Eriksen) bereiten gemeinsam mit einem amerikanischen Team (u.a. Wes Bentley, Stephen Lang) diese Tauchgänge vor und werden dazu diversen Tests mit unterschiedlichen Druckbelastungen sowie Sauerstoffzusätzen unterzogen.

Als es endlich soweit ist und die Brüder zum Meeresgrund hinabtauchen, kommt es zum Unglück: Knut stirbt. Von einem „Unfall“, wie es die Verantwortlichen nennen, will Petter jedoch nichts wissen. Er ist überzeugt, dass es andere Ursachen für Knuts plötzlichen Bewusstseinsverlust gab und forscht auf eigene Faust nach. Damit macht er sich schnell zahlreiche Feinde in den obersten Etagen der beteiligten Unternehmen, die in der Vorfreude auf paradiesische Profite kritische Presse gar nicht gebrauchen können.

Eine tragische Familiengeschichte, erzählt vor dem Hintergrund historischer Ereignisse, vermischt mit Zutaten des Paranoia- und Thriller-Kinos im Stile der 70er-Jahre: „Pioneer“ weiß all diese Versatzstücke packend und glaubhaft zu kombinieren. Dabei bleibt auch der Zuschauer lange Zeit im Unklaren darüber, ob man den Verschwörungstheorien des überforderten Petter glauben schenken soll. Denn da er offenbar selbst gesundheitliche Schäden von den zahlreichen Tauch-Experimenten davongetragen hat, eignet sich seine Figur nur bedingt als Leitwolf. Regisseur Skjoldbjærg nutzt zudem dezent optische Verfremdungen und Ich-Perspektiven, um dem Publikum die psychischen Beeinträchtigungen seines Protagonisten immer wieder vor Augen zu führen. Oder ist es doch nur eine bewusst gelegte falsche Fährte? Fakt ist: Hier ist ein Filmemacher am Werk, der seinen Job und die Finessen des Inszenierens versteht und trotz einiger inhaltlicher Längen weiß, wie er die Spannungskurve bis zum Schluss halten kann. Der stimmungsvolle Soundtrack der französischen Band AIR ist da nur zuträglich.

Fazit: Wer Thriller und ungewöhnliche Settings mag sowie ein Faible für Storys mit zeitgeschichtlichem Hintergrund hat, sollte sich „Pioneer“ nicht entgehen lassen.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in mehrsprachiger Originalfassung (norwegisch/englisch) sowie in Teilsynchronfassung (deutsch/englisch). Untertitel sind in deutsch vorhanden. Im Bonusmaterial finden sich ein Making of sowie Interviews und Trailer. „Pioneer“ erscheint bei farbfilm home entertainment / Lighthouse und ist ab 20. März 2015 erhältlich. (Packshot: © farbfilm home entertainment / Lighthouse)

... im Nachgang: „Inherent Vice - Natürliche Mängel“ (Kinostart: 12. Februar 2015)

‚PTA‘ ist zurück im Kino! Für die Redaktion des Kinokalender Dresden natürlich ein Pflichttermin – mit unterschiedlichen Ergebnissen. Nachzulesen HIER.

(Plakat: © 2014 Warner Bros. Pictures Germany)

Heimkino-Tipp: „Maps To The Stars“ (2014)

Okay, wer für seinen Filmabend bewusst ein Werk von David Cronenberg („Crash“, „A History of Violence“) wählt, weiß gewöhnlich, dass es düster, brutal und psychologisch heftig werden kann. Nun könnte man dem kanadischen Regisseur vorwerfen, sich in den vergangenen Jahren zunehmend dem so genannten Mainstream angebiedert zu haben, wenn er mit Filmen wie „Tödliche Versprechen“ oder „Eine dunkle Begierde“ nicht minder tiefgründig, aber im Gegensatz zu seinen früheren Arbeiten beinahe zahm seine Charaktere und deren Psychosen auf der Leinwand sezierte. Mit „Maps to the Stars“ ist diese Schonzeit vorbei: sarkastischer, ätzender, böser, brutaler und gleichsam selbstironischer war er selten zuvor.

Die alternde Schauspielerin Havana (Julianne Moore) fühlt sich von Hollywood aussortiert. Während andere Stars auf Filmfestivals für ihre Kunst gefeiert werden, gehen bei ihr die Rollenangebote zurück. Vor allem der Besetzungszirkus für das Remake eines Filmes, in dem einst ihre verstorbene Mutter spielte, macht ihr zu schaffen. Havana will die Hauptrolle unbedingt und steigt dafür auch schon mal mit dem einen oder anderen Entscheidungsträger ins Bett. Parallel erhält der Kinderstar Benji (Evan Bird) die Chance, die Fortsetzung seines Megahits „Bad Babysitter“ zu drehen, muss zuvor jedoch einige erniedrigende Fragerunden seitens der Produzenten über sich ergehen lassen, die von Benjis Partyexzessen wenig begeistert sind. Sein Vater (John Cusack) jobbt derweil als eine Art Guru für die Schönen und Reichen und betreut unter anderem auch Havana, die sich mit Agatha (Mia Wasikowska ) gerade eine neue Haushaltshilfe besorgt hat – eine junge Frau, die Havana nicht nur wegen ihrer tragischen Vorgeschichte an ihre eigene Mutter erinnert.

Anhand dieses Personenkreises, deren überraschende Beziehungen zueinander der Film erst nach und nach preisgibt, nimmt „Maps tot he Stars“ mit auf einen amüsant-schockierenden Trip ins Hollywood von heute: Eine Stadt voller Egozentriker, die schamlos und völlig moralfrei nur ans eigene Glück denken, auf andere herabsehen und alles zerstören, was ihnen beruflich und privat im Weg stehen könnte. Eigentlich schon mehr als genug für einen unterhaltsamen Film, quält Cronenberg seine Figuren zusätzlich mit sonderbaren Visionen Verstorbener, die immer mal wieder in Erscheinung treten und so den Protagonisten ein Gefühl der Unkontrollierbarkeit vor Augen führen, das ihre Handlungen nur noch extremer werden lässt.

Beinahe jede Szene und jeder Dialog spukt Gift und Galle auf diese scheinbare Traumwelt, in der die Oberflächlichkeit regiert und keiner eine weiße Weste vorweisen kann. Dabei gelingt es dem Drehbuch von Bruce Wagner formidabel, mehr zu bieten als bloßes „name dropping“, und mit kurzen Verweisen, beispielsweise auf ‚Oprah und Lance Armstrong‘, dem Zuschauer die gängigen Mechanismen in der Medienwelt vorzuführen. Dialoge über die Perversion von Fanverhalten, oder ein Filmstar, der kein Problem damit hat, sich beim Toilettengang beobachten zu lassen, sind weitere bissige, mehrdeutige Kommentare zu einer Gesellschaft (ergo: uns), die sowohl so etwas fördert als auch konsumiert.

„Maps to the Stars“ ist nach „Mulholland Drive“ (2001, Regie: David Lynch) vielleicht der ehrlichste Blick hinter die glitzernde Fassade Hollywoods im neuen Jahrtausend. Veredelt mit grandiosen Schauspielerleistungen (Julianne Moore erhielt in Cannes die Goldene Palme als „Beste Darstellerin“), ist das Werk Horror-Cronenberg in Bestform mit einem Kilo Sarkasmus obendrauf – und in meinen Augen derzeit einsamer Spitzenreiter wenn es darum geht, so viele „What the f***?!“-Momente wie möglich in einen Film einzubauen. Oder wie es John Cusack in einem Interview zum Kinostart beschrieb: „Die schonungsloseste, fieseste Dekonstruktion von Hollywood, Ruhm, Geheimnissen und diesem ganzen giftigen Gebräu, das hier in Los Angeles zu finden ist.““

DVD/Blu-ray-Infos: Der Film liegt in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung vor. Deutsche Untertitel sowie eine Hörfilmfassung für Blinde befinden sich ebenfalls auf den Discs (sehr löblich!). Als Extras gibt es Promoclips, Trailer sowie Interviewschnipsel mit Cast & Crew. „Maps to the Stars“ erscheint bei MFA+ Film im Vertrieb von Ascot Elite und ist ab 3. März 2015 erhältlich. (Packshot: © MFA+ FilmDistribution e.K., Filmstills: MFA+ FilmDistribution e.K./Daniel McFadden & Caitlin Cronenberg)