Heimkino-Tipp: „Ennio Morricone“ (2021)

Der Maestro

Vor einigen Jahren war es noch unvorstellbar, dass Komponisten für Filmmusik unter ihrem eigenen Namen auf weltweite Konzerttourneen gehen und dabei die größten Locations einer Stadt bespielen. Inzwischen jedoch treten beispielsweise Hans Zimmer in der Berliner Mercedes-Benz-Arena oder Danny Elfman mit seinen Tim-Burton-Soundtracks in der Londoner Royal Albert Hall auf. Auch der im Juli 2020 im Alter von 91 Jahren verstorbene Ennio Morricone begab sich in seinen letzten Lebensjahren noch einmal auf eine ausgedehnte Konzertreise und begeisterte Tausende mit einem Best of seiner bekanntesten Werke. Nicht nur für ihn, sondern ebenso für viele seiner Kollegen eine längst überfällige Anerkennung ihrer Arbeit, verdanken wir ihnen doch einige der schönsten, einprägsamsten und zeitlosesten Melodien, die je geschaffen wurden.

Dies war nicht immer so und wurde lange Zeit vor allem innerhalb der Komponistenzunft kritisch beäugt. Kurze Soundschnipsel, die in wenigen Minuten maximale Emotionen triggern sollen? Keine Kunst! Musik ‚nur‘ als Begleitung zu Bildern? Keine Kunst! Bestellte Kompositionen nach den Wünschen eines Regisseurs? Keine Kunst! Zum Glück sind diese Vorstellungen und Meinungen inzwischen überholt – dass sie es sind, ist nur einer der großen Verdienste von Ennio Morricone.

Der Regisseur Giuseppe Tornatore, der mehrmals mit Morricone zusammenarbeitete (u.a. bei „Cinema Paradiso“ (1988) und „Der Zauber von Malèna“ (2000)), hat seinem Freund kurz vor dessen Tod mit „Ennio“ ein umfangreiches filmisches Porträt gewidmet, in dem der Maestro auf seine Lebens- und Karrierestationen zurückblickt. Seine Erzählungen garniert er dabei nicht nur mit interessanten und amüsanten Anekdoten über prominente Filmschaffende und Musiker, sondern gewährt ebenso spannende Einblicke in seinen Schaffensprozess, wenn er auf Eigenheiten seiner Kompositionen hinweist oder Hörbeispiele auch für ‚untrainierte‘ Ohren verständlich kommentiert.

Dass Tornatore – wie wahrscheinlich die meisten Zuschauer – Morricone verehrt, wird gar nicht erst in Frage gestellt. Diese fehlende Distanz zwischen Regisseur und Porträtiertem weiß der Filmemacher jedoch gut zu nutzen und kann so den scheuen Komponisten bei ganz alltäglichen Routinen, wie beispielsweise Gymnastikübungen am Morgen zeigen oder für manch wunderbare Einstellung (z.B. beim Dirigieren) vor bzw. hinter die Kamera platzieren.

Abseits davon fächert der Film Morricones Karriere chronologisch auf, was auf den ersten Blick zwar konventionell erscheint, auf den zweiten Blick aber für das Verständnis von dessen künstlerischem Werdegang essenziell ist. Denn ohne seine frühen Erfahrungen als Arrangeur, beim Radio oder in der italienischen Popmusik ist seine spätere Vielseitigkeit beim Film nur schwer nachvollziehbar. Für diese frühen Karrierestationen präsentiert Tornatore eine Fülle an Bildmaterial, was der Dokumentation sichtlich guttut. Denn Morricones Lebenslauf selbst war, so wird es im Film auch einmal konkret formuliert, an sich gar nicht so außergewöhnlich. Außergewöhnlich war vielmehr seine Arbeit, seine Kreativität und sein Tempo, mit dem er ab den 1960er-Jahren einen Soundtrack nach dem anderen quasi ‚raushaute‘ – und dabei ein Meisterwerk nach dem nächsten erschuf. Erfreulicherweise erhielt Tornatore die Erlaubnis, die zugehörigen Filmszenen auch zu zeigen, was das Besondere an Ennios Kreationen für die Zuschauer hör- und sehbar macht. Da braucht es die vielen bekannten Gesichter (u.a. Bruce Springsteen, Quentin Tarantino, Quincy Jones, Clint Eastwood, James Hetfield) eigentlich gar nicht mehr, zumal sie (fast) alle in das – gerechtfertigte – Loblied mit einstimmen, um dem Maestro zu huldigen.

Selten hat ein Künstler ein so langes, ausführliches und persönliches Porträt so sehr verdient wie Morricone. Es ist gleichzeitig ein liebevoller Abschiedsbrief von Tornatore an einen Freund, der sicherlich nicht von allen, aber vielen bemerkenswerte S(a)eiten eines großen Künstlers berichtet.

Der Film erscheint sowohl digital als auch in mehreren verschiedenen physischen Varianten. Neben einer 4K Ultra HD, Blu-ray oder DVD gibt es ein wunderbares Mediabook, welches ebenso wie die anderen Editionen den Film in italienischer Original- und deutsch synchronisierter Sprachfassung enthält. Deutsche Untertitel sind optional zuschaltbar. Als Bonus gibt es ein kurzes Making of, ein ausführliches Interview mit dem Regisseur, eine zusätzliche Szene sowie Trailer. Das Mediabook enthält zudem ein 100-seitiges, sehr informatives Booklet, eine Soundtrack-CD und einen kompletten Konzertmitschnitt aus München von 2004. „Ennio Morricone – Der Maestro“ erscheint bei Plaion Pictures und ist seit 27. April 2023 erhältlich. (Packshot + stills: © Plaion Pictures)