... im Nachgang: „The Artist“ (Kinostart: 26.01.2012)

Der Oscar-Abräumer 2012 bekommt natürlich auch noch einen Nachschlag spendiert. Ein Pro und Contra zu „The Artist“ findet sich HIER.

Heimkino-Tipp: „Elite Squad“ (2010)


Erinnere mich noch gut an den Kinobesuch von „City of God“ vor nunmehr neun Jahren: Die Energie, die Virtuosität und die ungeschönte Härte, mit der darin über das (Über-)Leben in einer brasilianischen Favela berichtet wurde, hinterließ offenbar nicht nur bei mir bleibenden Eindruck und zog zahlreiche Filme mit ähnlicher Thematik nach sich. „Tropa de Elite“ aus dem Jahr 2007 zählt mit zu den gelungensten Vertretern und holte 2008 den „Goldenen Bären“ auf der Berlinale. Nun präsentiert Regisseur José Padilha zusammen mit seinem Hauptdarsteller Wagner Moura die Fortsetzung „Elite Squad“ – und setzt qualitativ sogar noch einen drauf.

Anknüpfend an das Ende des Vorgängers, ist der Polizist Nascimento (Moura) inzwischen zum Leiter des umstrittenen Sondereinsatzkommandos BOPE in Rio de Janeiro aufgestiegen und bietet der Drogenmafia weiterhin mutig die Stirn. Trotz vereinzelter Erfolge bleibt das große Ziel, das organisierte Verbrechen endgültig zum Erliegen zu bringen, allerdings unerreicht. Es dauert nicht lang, bis Nascimento die Ursache hierfür entdeckt: Hochrangige Politiker und korrupte Kollegen versorgen die Gangsterbosse mit Informationen oder sind zum Teil selbst derart tief in deren Machenschaften verwickelt, dass jeder Versuch, dem ein Ende zu bereiten, ins Leere läuft. Erst die Kandidatur eines linken Senators (Irandhir Santos), der trotz aller Drohungen und Mordversuche an seinen Idealen eines unbestechlichen Volksvertreters festhält, beschert Nascimento die nötigen Mittel und Handlungsspielräume, das Übel bei der Wurzel zu packen – zumindest glaubt er (und das Publikum) das.

Auch ohne den Vorgänger zu kennen, kann man „Elite Squad“ problemlos folgen. Zwar wirkt das Handeln der Hauptfigur stellenweise etwas sprunghaft, für eine Fortsetzung ist dies allerdings akzeptierbar, zumal der Charakter in Teil eins ausreichend vorgestellt wurde. Ohnehin konzentriert sich Teil zwei viel mehr für politische Zusammenhänge und kriminelle Seilschaften, die zwischen den einflussreichen Gesetzeshütern und deren ‚Geschäftspartnern‘ gesponnen werden bzw. existieren. Das Drehbuch ist dabei derart detailliert und genau in seinen Ausführungen, dass schnell der Eindruck entsteht, die Autoren hätten persönliche Audienzen bei den bösen Buben gehalten. Will sagen: Realismus wird in „Elite Squad“ sowohl bei den Dialogen als auch den zahlreichen Gewaltausbrüchen groß geschrieben.

Daher fällt es mir schwer, „Elite Squad“ lediglich das Siegel „Actionfilm“ aufzudrücken. Zu komplex, zu ernst und zu bitter in seiner Aussage kommt dieses hervorragend umgesetzte Werk daher, als ‚nur’ Unterhaltung zu sein. Nein, vielmehr handelt es sich um einen anklagenden Politthriller, verpackt in handwerklich solide umgesetzte, brutale Bilderwelten, die Wut und Frust eines Regisseurs/Autors erkennen lassen, der ebenso wie sein Protagonist ohne Rücksicht auf Verluste Tacheles redet. Kein Film für schwache Mägen, empfehlenswert jedoch für jeden, der die Kombination Anspruch, Tempo und Action nicht scheut. Hut ab vor diesem mutigen Glanzstück!

Die DVD/BluRay bietet den Film in deutsch synchronisierter und portugiesischer Sprachfassung, deutsche Untertitel, ein 60minütiges Making of sowie Trailer. „Elite Squad – Im Sumpf der Korruption“ erscheint bei universum film und ist ab 16. März erhältlich. (Packshot: © Universum Film)

„Barbara“ (Kinostart: 8. März 2012)

Christian Petzolds neues Werk ist bereits die fünfte Zusammenarbeit des Regisseurs mit der Darstellerin Nina Hoss. Ein Team, das mir persönlich u.a. mit „Yella“ und „Jerichow“ außergewöhnliche Filmerlebnisse beschert hat, die stets lange nachwirkten. Auch „Barbara“ macht da keine Ausnahme.

Im Mittelpunkt der Geschichte steht eine Ärztin, die im Jahr 1980 in die ostdeutsche Provinz strafversetzt wird. Barbaras (Nina Hoss) „Vergehen“: Sie hatte einen Ausreiseantrag gestellt, wurde inhaftiert und steht seitdem unter ständiger Beobachtung der Staatssicherheit. Im kleinen Krankenhaus, weit weg von der innerdeutschen Grenze, soll sie „dem Land, das sie ausgebildet hat, etwas von ihrem Können und Wissen zurückgeben“, wie es ihr Kollege Andre (Ronald Zehrfeld) später formuliert. Andre ist gleichzeitig ihr neuer Chef und leitet die Kinderchirurgie des örtlichen Krankenhauses. Er ist dankbar für die neue Teamhilfe aus der angesehenen Berliner Charité, andererseits auch entzückt von der verschlossenen, schönen Kollegin.

Barbara allerdings kennt nur einen Gedanken: Flucht. Raus aus diesem Land, dieser Enge, diesem System. Sie trifft Vorbereitungen, verhält sich unauffällig und wartet. Trifft ihren Freund aus dem Westen heimlich im Wald, im Inter-Hotel, und meidet nähere Kontakte zu ihren Nachbarn und Kollegen. Besonders gegenüber Andre, der charmant um sie wirbt, zarte Bande knüpfen will und jede ihrer kühlen Zurückweisungen geduldig erträgt. Von ihren Plänen indes ahnt er nichts.

„Barbara“ reiht sich weder in Form noch Inhalt in die bereits schon oft gesehenen DDR-Kinogeschichten ein. Petzolds Film folgt weder dem umstrittenen Oscar-Gewinner „Das Leben der Anderen“, noch den Albernheiten à la „Sonnenallee“ und Co.. Fast ausschließlich den Blickwinkel der Hauptfigur folgend, beobachtet die Kamera kühl und wertungsfrei den Alltag einer Frau, die von tiefem Misstrauen geprägt ist und jegliche emotionale Nähe zu ihrem Heimatland und den Menschen in ihrer Umgebung weit hinter sich gelassen hat. Die ständigen, unangekündigten Wohnungsdurchsuchungen verbunden mit entwürdigenden Leibesvisitationen, die neugierige Hausmeisterin oder die (gespielten?) Annäherungsversuche ihres Chefs: Barbara findet tausend Gründe, der DDR den Rücken zu kehren.

Aber: Mag diese Aufzählung negativer Erfahrungen ihre Beweggründe auch rechtfertigen, so sind sie doch nicht das Hauptthema des Films. Denn Petzold geht es nach eigenen Angaben darum, das zu filmen, „was zwischen den Menschen ist, sich aufgetürmt hat, was sie misstrauen lässt oder vertrauen, abwehren und annehmen.“ Oder anders formuliert: Wie begegnet ein Mensch, für den nichts in seinem Umfeld mehr von Bedeutung ist, seiner Umgebung? Wie handelt ein Mensch in dem Wissen, alle anderen belügen zu müssen und nie mehr wiederzusehen?

Wie so oft bei Petzold spielen Blicke und Gesten eine wichtige Rolle beim Erzählen. Mit Nina Hoss und Ronald Zehrfeld als Hauptdarsteller gelingen ihm dabei beeindruckende Szenen, die zusammen mit der bemerkenswerten Ausstattung und Bildkomposition immer wieder für Gänsehaut sorgen. Da haben bestimmte Bildausschnitte eine ebensolche Bedeutung wie Wohnungseinrichtungen und Kleidungsstücke. Stets dezent und unaufdringlich ergänzen sie Handlungen und Worte der einzelnen Figuren kongenial und erschaffen damit eine Atmosphäre, wie ich sie bisher selten in Filmen über diese Zeit erleben durfte. Dazu passt auch die Anmerkung von Darsteller Zehrfeld, der, selbst ein Kind des Ostens, während der Dreharbeiten reale Krankenakten aus einem Klinikum in Dresden am Set vorfand, die eben nicht nachgebildet wurden, sondern tatsächlich in Umlauf waren. Natürlich ist dies nicht auf der Leinwand zu erkennen. Doch zweifellos an der Intensität und Glaubhaftigkeit, mit der die Schauspieler vor der Kamera agieren.

Ein herausragender Film, der viel mehr erzählt, als auf den ersten Blick ersichtlich ist.

... im Nachgang: „Ziemlich beste Freunde“ (Kinostart: 05.01.2012)

Gibt es noch jemanden, der diesen Film nicht gesehen hat? Möglicherweise noch unsicher ist, ob der Gang ins Filmtheater lohnt? Hilfe zur Entscheidungsfindung gibt es HIER: ein Pro-Contra-Gespräch zum französischen Komödienhit.