Hinter verschlossenen Türen
Wer sich auf einen dänischen Film einlässt, braucht sich um die Qualität gewöhnlich nicht sorgen. Sowohl darstellerisch als auch künstlerisch und vor allem inhaltlich gibt es nämlich bei den Dänen (scheinbar) immer Großartiges zu erleben. Wie machen die das nur? Oder werden uns die weniger guten Streifen einfach vorenthalten und nur die tollen exportiert? Auf „Die Wärterin“ von Regisseur und Autor Gustav Möller („The Guilty“ von 2018, drei Jahre später unter der Regie von Antoine Fuqua mit Jake Gyllenhaal in der Hauptrolle für Netflix neu verfilmt) trifft diese Wertung auf jeden Fall zu. Wie hier das persönliche Schicksal einer Person mit moralischen Fragen verbunden und in ein Thrillerdrama eingebettet wird, ist schlicht hervorragendes Filmemachen.
Die Wärterin Eva (Sidse Babett Knudsen) arbeitet in einem Gefängnistrakt, in der ein relativ entspannter Umgang mit den Insassen praktiziert wird. Man grüßt und respektiert sich, auch da die hier einsitzenden Häftlinge meist nur ‚kleine‘ Vergehen abzusitzen haben. Als jedoch ein Neuankömmling (Sebastian Bull) in den benachbarten Hochsicherheitstrakt verlegt wird, lässt sich Eva zur Überraschung ihrer KollegInnen dorthin versetzen. Die Verhaltensregeln hier sind erwartungsgemäß für beide Seiten sehr viel restriktiver ausgelegt, woran ihr neuer Teamleiter Rami (Dar Salim) keinen Zweifel lässt: Wer hier einsitzt, ist kein guter Mensch. Obwohl Eva um die Gefahr, die von den meist muskelbepackten Sträflingen ausgeht, weiß, beginnt sie in den kommenden Tagen in unbeobachteten Momenten sukzessive, Sicherheitsprotokolle zu ignorieren, um dem neuen Häftling näher zu kommen.
Einen großen Teil der spannenden und unerwartet verlaufenden Handlung von „Die Wärterin“ macht das Nichtwissen über den weiteren Verlauf aus. Fühlt sich Eva zu dem jungen Mann hingezogen? Haben sie familiäre Verbindungen? Ist sie womöglich Komplizin eines Verbrechens, für das nur er bestraft wurde? Regisseur Möller und sein Co-Autor Emil Nygaard Albertsen lassen die Antwort auf diese Frage lange in der Schwebe, nur um sie dann umso wirkungsvoller auszuspielen. Dies funktioniert gleich auf mehreren Ebenen beeindruckend: Sowohl als pures Spannungskino – jeder Moment in einer solchen Umgebung ist unvorhersehbar – als auch anspruchsvolles Drama, das den moralischen Zwiespalt der Protagonistin in den Mittelpunkt rückt, da sich ihr (Fehl?)Verhalten unmittelbar auf ihre Umgebung und KollegInnen auswirkt. Dabei vermeidet es Möller, das Verhalten seiner Figuren zu werten und lässt sein Publikum somit selbst und nur anhand der begrenzten Informationen, die es hat, ein Urteil fällen.
Das setzt natürlich ebenso gute Darsteller voraus, die ihre Figuren nuanciert und mehrdimensional präsentieren und innere Konflikte sichtbar transportieren können. Dem Ensemble Knudsen – Salim – Bull gelingt dies formidabel und ich persönlich freue mich ungemein, dass deren Talent inzwischen auch international wahrgenommen und mit Rollenangeboten geschätzt wird.
Mit der Wahl des Bildformats (1.37:1, also quasi rechteckig und mit wenig Sichtbarem an den Rändern) unterstreicht Möller zudem nicht nur die örtliche Begrenztheit der Haftanstalt, sondern ebenso das mentale Gefangensein sowohl der Insassen als auch der Hauptfigur, die in ihrem Handeln weder rechts noch links wahrzunehmen im Stande ist. Ein wunderbares Beispiel für die Symbiose von Form und Inhalt.
„Die Wärterin“ empfiehlt sich für alle, die gern auch im Anschluss über in Filmen aufgeworfene Fragen diskutieren und Freude an realitätsnahen Erzählungen haben. Denn das können die Dänen nämlich ebenso toll: Packende Geschichten kreieren, in denen sich jede/r auf die eine oder andere Weise widerfinden kann.
Die Blu-ray/DVD bietet den Film in dänischer Original- und deutsch synchronisierter Sprachfassung. Deutsche Untertitel sind optional vorhanden. Als Bonus gibt es den Trailer zum Film. „Die Wärterin“ erscheint bei Elite Film AG (Ascot Elite Entertainment) und ist seit 22. Mai 2025 auch digital erhältlich. (Packshot + stills: © Ascot Elite Ent.)