Heimkino-Tipp: „Die 12 Geschworenen“ (1957)

Ansichtssache

Ein Blick auf tagesaktuelle Nachrichten genügt um zu wissen, dass politisch unabhängig getroffene Gerichtsentscheidungen im Jahre 2025 mehr denn je unter Beschuss geraten. Denn wenn sich amerikanische Präsidenten mal eben über gefällte Urteile hinwegsetzen oder deutsche Innenminister diese in Zweifel ziehen, sollte jedem klar sein, dass selbst sicher geglaubte Demokratien in Gefahr sind. Umso wichtiger sind Plädoyers wie „Die 12 Geschworenen“, die differenziert, nachvollziehbar und nicht belehrend, sondern mitreißend davon erzählen, wie wichtig eine vorurteilsfreie Rechtsprechung ist. Und wie glücklich sich Demokratien schätzen können, diese zu besitzen. Sie verbal anzugreifen oder gar zu ignorieren, stellt einen Tabubruch dar, dessen Folgen nur schwer abzuschätzen sind.

Allein die Tatsache, dass „Die 12 Geschworenen“ aus dem Jahr 1957 stammt zeigt, wie zeitlos und wichtig die stetige Auseinandersetzung mit dieser Thematik ist. Der Debütfilm von Sidney Lumet („Serpico“, „Hundstage“, „Network“) erhielt seinerzeit drei Oscar-Nominierungen, u.a. als ‚Bester Film.‘ Das als Kammerspiel inszenierte Drama dokumentiert, gefühlt in Echtzeit, ein Gespräch von 12 Männern, die sich im Anschluss an einen Mordprozess in ein Hinterzimmer des Gerichts zurückziehen, um über Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu entscheiden. Wird der vermeintliche Mörder schuldig gesprochen, landet er in der Todeszelle. Doch hierfür muss die Entscheidung der Geschworenenjury einstimmig sein – ebenso für einen möglichen Freispruch.

Die Sachlage scheint klar, die vermeintlichen Beweise eindeutig und der Schuldspruch eigentlich nur Formalität. Wäre da nicht der Geschworene #8 (Henry Fonda), der zweifelt. Nicht, weil er den jungen Angeklagten per se für unschuldig hält, sondern weil er die Entscheidung über Tod oder Leben eines Menschen nicht – wie die anderen – im Schnelldurchlauf abhandeln will. „Im Zweifel für den Angeklagten“ ist hier der Schlüsselsatz, der den weiteren Verlauf des Abends prägen soll.

In den folgenden 90 Minuten, in denen keiner der Akteure den engen, heißen und spärlich eingerichteten Raum verlassen darf, entspinnt sich vor den Augen des Publikums ein spannendes Streitgespräch über uneingestandene Vorurteile, zweifelhafte Vermutungen, persönliche Schicksale und (scheinbar) unüberlegte Schlussfolgerungen. Die einzelnen Charaktere spiegeln dabei (fast) die ganze Gesellschaft und ihre Sicht auf die Welt wider, was die Identifikation für die Zuschauer erleichtert. Argumente werden oft sachlich, manchmal emotional ausgetauscht, und wenn es doch einmal respektlos wird, folgt eine Entschuldigung. „Die 12 Geschworenen“ ist somit nicht nur ein interessanter Meinungsaustausch, sondern ebenso ein Musterbeispiel für eine angemessene Diskussionskultur – etwas, was uns heutzutage ebenfalls mehr und mehr verlorenzugehen scheint.

Die herausragende Kameraarbeit von Boris Kaufman ist nicht weniger meisterhaft: Die Enge des Raumes, der Einfall des Lichts oder schlicht die Positionierung der Kamera (aus der Distanz vs. Nahaufnahmen der Gesichter) vermitteln ein sehr konkretes Gefühl der inneren Kämpfe der einzelnen Geschworenen bei deren Urteilsfindung. Dass Regisseur Lumet hier zudem eine sehr naturalistische Darstellung eingefordert hat, kommt dem Film ebenso sehr zugute: Kein Overacting, keine gestelzten Dialoge, keine offensichtliche Unterscheidung zwischen Star (Fonda) und Nebendarstellern (u.a. Lee J. Cobb, Martin Balsam, Jack Klugman) – alle Figuren haben Relevanz und agieren gleichberechtigt.

„Die 12 Geschworenen“ ist, wie eingangs bereits erwähnt, ein zeitloser Film, der sowohl inhaltlich als auch filmisch auch fast 70 Jahre nach seiner Erstveröffentlichung begeistert und ob seiner Ausgewogenheit erstaunt. Umso schöner, ihn nun mit dieser Neuveröffentlichung in neuem Glanz erleben zu dürfen. Besonderes Schmankerl: Das Mediabook enthält als Zugabe die hierzulande leider kaum bekannte, ebenso prominent besetzte TV-Neuverfilmung von William Friedkin aus dem Jahre 1997.

Die 4K Ultra HD/Blu-ray/DVD-Disc bietet den Film in englischer Original- und deutsch synchronisierter Sprachfassung. Deutsche und englische Untertitel sind optional vorhanden. Als Bonus gibt es Audiokommentare, zwei Featurettes zur Entstehung des Films sowie Trailer. Das Mediabook enthält zudem die Neuverfilmung von 1997 und ein informatives Booklet von Kathrin Horster. „Die 12 Geschworenen“ erscheint bei capelight pictures im Vertrieb von Alive AG und ist seit 12. Juni 2025 auch digital erhältlich. (Packshot + stills: © Metro-Goldwyn-Mayer Studios Inc./capelight pictures)